Autorin: Jessica Wawrzyniak
Datum: 30.09.2022
Status: Zur Veröffentlichung freigegeben
Datenschutzfreundlicher Unterricht – Wieso eigentlich?
Herausforderungen, Lösungen und netzpolitische Zusammenhänge
Jessica Wawrzyniak, Medienpädagogin im Verein Digitalcourage, erklärt, welche Hürden auf verschiedenen Ebenen die Umsetzung von datenschutzfreundlichem Unterricht erschweren, worauf es bei der Wahl von Schulsoftware ankommt, welche Alternativen bereits zur Verfügung stehen und wieso netzpolitische Themen dabei permanent mitgedacht werden müssen.
Netzpolitische Hintergründe
Geprägt durch Repressionen, Abhängigkeiten und Gefangenschaften im Zweiten Weltkrieg – wurden die freie Entfaltung der Persönlichkeit und andere Freiheitsrechte im Jahr 1949 als solch hohe und schützenswerte Rechte anerkannt, dass sie gleich im Grundgesetz, somit als Kern des deutschen Staats- und Verfassungsrechts, verankert wurden.
Alle Bürgerinnen und Bürger genießen Gedanken- und Religionsfreiheit, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, sowie den Schutz der Privatsphäre und des Familienlebens und das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren.
So viele tolle Freiheiten und trotzdem ist es Geheimdiensten – früher wie heute – möglich, nicht nur Politiker*innen, sondern alle Bürgerinnen und Bürger zu überwachen. Die Enthüllungen von Edward Snowden, einem ehemaligen US-amerikanischen Geheimdienstmitarbeiter, im Jahr 2013 zeigen nur einen Bruchteil dessen, wozu Geheimdienste fähig sind.1 Die technischen Möglichkeiten zur staatlichen Überwachung sind vorhanden. Lediglich gesetzliche Grundlagen und ethische Überlegungen stehen einer Komplettüberwachung im Weg, wie sie in anderen Ländern der Welt bereits möglich ist (z.B. in Shanghai [China], wo durch das so genannte „Sozialkreditsystem“ alle Bürger*innen überwacht und gegängelt werden).
Die Gesetzgeber*innen stecken in einem Spannungsfeld zwischen den Werten Freiheit und Sicherheit und planen oder verabschieden immer wieder Maßnahmen, die einer Komplettüberwachung der Nutzer*innen und der Zweckentfremdung von Daten gefährlich nahe kommen. Nicht selten werden
Terrorismusbekämpfung, Strafverfolgung oder der Schutz von Kindern vorgeschoben, um Überwachungsinstrumente zu etablieren, die den Schutz vor Terrorismus oder Kindesmissbrauch gar nicht gewährleisten können, dafür aber zuverlässig beobachten können, wie sich alle Menschen – auch unverdächtige Personen – bewegen, verhalten, was sie denken, was sie mögen, mit wem sie in Kontakt stehen. Maßnahmen wie die Vorratsdatenspeicherung oder sogenannte „Upload-Filter“, die alle Jubeljahre wieder neu diskutiert werden, aber auch der Einsatz von „Staatstrojanern“ oder Videoüberwachung (samt Gesichtserkennung) sind nur wenige Beispiele von Überwachungsmaßnahmen, die in ihrer Gesamtheit betrachtet werden müssen („Überwachungsgesamtrechnung“).2
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1 Alles Wichtige zum NSA-Skandal (2016): https://www.zeit.de/digital/datenschutz/2013-10/hintergrund-nsa-skandal
2 „Überwachungsgesamtrechnung“ – Wie der Staat Bürger überwacht (2021): https://www.freiheit.org/de/ueberwachungsgesamtrechnung-wie-der-staat-buerger-ueberwacht
Staatliche Überwachung
Geprägt durch Repressionen, Abhängigkeiten und Gefangenschaften im Zweiten Weltkrieg – wurden die freie Entfaltung der Persönlichkeit und andere Freiheitsrechte im Jahr 1949 als solch hohe und schützenswerte Rechte anerkannt, dass sie gleich im Grundgesetz, somit als Kern des deutschen Staats- und Verfassungsrechts, verankert wurden.
Alle Bürgerinnen und Bürger genießen Gedanken- und Religionsfreiheit, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, sowie den Schutz der Privatsphäre und des Familienlebens und das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren.
So viele tolle Freiheiten und trotzdem ist es Geheimdiensten – früher wie heute – möglich, nicht nur Politiker*innen, sondern alle Bürgerinnen und Bürger zu überwachen. Die Enthüllungen von Edward Snowden, einem ehemaligen US-amerikanischen Geheimdienstmitarbeiter, im Jahr 2013 zeigen nur einen Bruchteil dessen, wozu Geheimdienste fähig sind.1 Die technischen Möglichkeiten zur staatlichen Überwachung sind vorhanden. Lediglich gesetzliche Grundlagen und ethische Überlegungen stehen einer Komplettüberwachung im Weg, wie sie in anderen Ländern der Welt bereits möglich ist (z.B. in Shanghai [China], wo durch das so genannte „Sozialkreditsystem“ alle Bürger*innen überwacht und gegängelt werden).
Die Gesetzgeber*innen stecken in einem Spannungsfeld zwischen den Werten Freiheit und Sicherheit und planen oder verabschieden immer wieder Maßnahmen, die einer Komplettüberwachung der Nutzer*innen und der Zweckentfremdung von Daten gefährlich nahe kommen. Nicht selten werden
Terrorismusbekämpfung, Strafverfolgung oder der Schutz von Kindern vorgeschoben, um Überwachungsinstrumente zu etablieren, die den Schutz vor Terrorismus oder Kindesmissbrauch gar nicht gewährleisten können, dafür aber zuverlässig beobachten können, wie sich alle Menschen – auch unverdächtige Personen – bewegen, verhalten, was sie denken, was sie mögen, mit wem sie in Kontakt stehen. Maßnahmen wie die Vorratsdatenspeicherung oder sogenannte „Upload-Filter“, die alle Jubeljahre wieder neu diskutiert werden, aber auch der Einsatz von „Staatstrojanern“ oder Videoüberwachung (samt Gesichtserkennung) sind nur wenige Beispiele von Überwachungsmaßnahmen, die in ihrer Gesamtheit betrachtet werden müssen („Überwachungsgesamtrechnung“).2
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1 Alles Wichtige zum NSA-Skandal (2016): https://www.zeit.de/digital/datenschutz/2013-10/hintergrund-nsa-skandal
2 „Überwachungsgesamtrechnung“ – Wie der Staat Bürger überwacht (2021): https://www.freiheit.org/de/ueberwachungsgesamtrechnung-wie-der-staat-buerger-ueberwacht
Kommerzielle Überwachung
Große IT-Konzerne, allen voran die als „GAFAM“ bezeichneten (Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft) 3 , leben von den Daten, die Nutzer*innen ihnen bewusst oder unbewusst zur Verfügung stellen. Die Auswertung des Nutzungsverhaltens und die persönlichen Interessen der Bürgerinnen und Bürger, ermöglicht es ihnen, ihre Systeme für
die Nutzenden möglichst bequem, die Funktionen unverzichtbar und ihre Angebote – allen voran Werbemaßnahmen – individuell und profitbringend zu gestalten. Jeder Weg, an Nutzungsdaten heranzukommen, ist willkommen, denn daraus ist bares Geld zu gewinnen: Auswertungen der Ankäufe von Online-Datenhändlern im Jahr 2018 haben die Einkaufspreise von etwa 15 Cent für eine Postadresse, 75 Cent für eine E-Mailadresse, 1,75 Euro für ein Geburtsdatum, 2,60 Euro für eine Führerscheinnummer und sieben Euro für eine Sozialversicherungsnummer ermittelt. Ihr Alter, Geschlecht oder Ihre Einkaufsliste in einem Laden, sind inzwischen so inflationär geworden, dass der Geldwert bei unter einem Cent liegen dürfte – hier kommen allerdings so riesige Datensätze zustande, dass Datenhändler auch damit reich werden können.4
Was die exakte Preisbestimmung von Daten allerdings beinahe unmöglich macht, ist die Handelsform, die Google und andere große Unternehmen (z.B. Versandhäuser, Streaming-Anbieter, Verlagshäuser, Infoportale und Online-Game-Anbieter) praktizieren: „Real Time Bidding“ (deutsch: Echtzeitversteigerung).5 Dabei werden personenbezogenen Daten zu Werbezwecken versteigert: Wer am meisten für die gesammelten personenbezogenen Informationen bietet, bekommt den Zuschlag. Dadurch gibt es nach oben keine Grenzen und der Wert von Daten wird immer höher getrieben.
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2 „Überwachungsgesamtrechnung“ – Wie der Staat Bürger überwacht (2021):
https://www.freiheit.org/de/ueberwachungsgesamtrechnung-wie-der-staat-buerger-ueberwacht
3 Nachdem Facebook zum „Meta“-Konzern geworden ist, werden wir künftig wohl von „GAMAM“ sprechen müssen.
4 Eine Mail-Adresse bringt 0,75 Cent (2018): https://www.sueddeutsche.de/digital/google-datenschutz-nutzerdaten-wert-1.4192900
5 Laut einer Studie werden deine Daten 376 Mal am Tag weitergereicht (2022):
https://www.basicthinking.de/blog/2022/05/18/real-time-bidding-studie-daten/
Staatliche und kommerzielle Überwachung in Kombination
Werfen wir nun einen Blick auf Schulen: In Texas, USA, wo es keine vergleichbaren Gesetze wie die DSGVO gibt, wird bereits eine kommerzielle Software namens „Gaggle“ eingesetzt. Die gesamte Kommunikation, die über die schulische E-Mailadresse der Kinder läuft (u.a. jede Hausaufgabe, jeder Aufsatz und die Kommunikation unter Schüler*innen), wird gescannt und auf Wörter durchsucht, die Mobbing, Waffengewalt oder Suizid andeuten könnten. Nutzen die Schülerinnen und Schüler die Mailadresse darüber hinaus, um sich privat in Sozialen Netzwerken wie Twitter, Facebook und Instagram anzumelden, werden auch die Benachrichtigungen durchsucht, die aus diesen Apps stammen. Registriert der Algorithmus eine potenzielle (selbst-)schädigende Handlung, prüft ein*e Mitarbeiter*in den Fall und leitet die Meldung an die Eltern, die Schule und/oder die Polizei weiter. Von Schüler*innen aufgenommene Pornografie oder Gewaltvideos werden ohne Umwege an das „National Center for Missing and Exploited Children“ geschickt, einer Organisation der US-Regierung, die Datenbanken mit pornografischen Inhalten führt. Zu den Wörtern die ggf. Alarm schlagen, gehören übrigens auch „queer“ (nicht-heterosexuell), „lesbian“ (Lesbe), „gay“ (schwul), „knife“ (Messer), „drunk“ (betrunken), damn (verdammt), „fuck“ (scheiße), „sex“ und weitere Wörter aus Textpassagen jedes zweiten Popsongs.6 Durch diese Schutzmaßnahme so ziemlich jedes Privatsphäre-Recht und individuelle Entfaltung von
Kindern ausgehebelt und eine Komplettüberwachung durchgeführt wird. Hierzulande wäre so etwas nicht denkbar und das verdanken wir unter anderem unseren Datenschutzgesetzen.
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6 https://www.buzzfeednews.com/article/carolinehaskins1/gaggle-school-surveillance-technology-education
Datenspuren und Gesetze
Wer digitale Medien nutzt, hinterlässt Datenspuren – immer. Die kleinsten und detailliertesten Informationen über Menschen, können bei der Nutzung von Software ausgelesen, gespeichert, analysiert oder weitergegeben.7 Behörden und Unternehmen speichern mal mehr und mal weniger Daten der Nutzer*innen und gehen unterschiedlich sorgsam mit diesen Daten um. Die Europäische Datenschutz-Grundverordnung (kurz: DSGVO), welche 2016 in Kraft getreten ist, soll die Bürgerinnen und Bürger in der EU davor schützen, Kontrolle über ihre eigenen Daten zu verlieren. Jede Verarbeitung von Daten benötigt somit eine wasserdichte Rechtsgrundlage, die auf vorher festgelegten Zwecken basiert, welche den Nutzer*innen transparent mitgeteilt werden müssen – mit der Möglichkeit der Datenverarbeitung zu widersprechen. Alle EU-Bürger*innen haben jederzeit das Recht zu erfahren, welche Daten von ihnen verarbeitet werden.
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7 Überwacht, gesteuert und verkauft (2018): https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/die-strategie-von-google-
und-facebook-ueberwachen-und-verkaufen-15802775-p3.html
Die Rolle von Open-Source-Software
Nur Programme, die zweifelsfrei die Bestimmungen der DSGVO befolgen, haben eine Chance, unserem Verständnis von gutem Datenschutz annähernd gerecht zu werden. Zusätzlich zur DSGVO-Konformität, können offene Quellcodes (offen einsehbare „Baupläne“ besser sichern, dass Datenflüsse erkannt und unterbunden werden können.
So genannte „freie Software", die sich nicht nur durch einen öffentlich einsehbaren Quellcode auszeichnet, sondern darüber hinaus auch lizenzfrei zur Verfügung steht, kann von allen Entwickler.innen genutzt und weiterentwickelt werden, um bestmögliche und kreative Softwarelösungen zu schaffen.
Um Monopolstellungen von Unternehmen entgegenzuwirken, aber auch vor Schutz bei Serverausfällen oder Datenverlust, ist es von Vorteil, Daten dezentral zu speichern z.B. auf Servern in den Rechenzentren der Städte. Die Nutzung freier oder quelloffener Software ermöglicht es zudem, das Bildungssystem unabhängig von kommerziellen Interessen zu halten und den Bildungsauftrag zu erfüllen, der auf freiheitlich-demokratischen Werten basiert.
Der Einsatz von „Marken-IT“ bindet Schülerinnen und Schüler von klein auf an die gesamte Produktpalette des Anbieters und beeinflusst die Entfaltung der Persönlichkeit: Die permanente Zufuhr von Nutzungsdaten und persönlichen Informationen ermöglicht differenzierte Persönlichkeitsanalysen, macht schon junge Kinder zu gläsernen Menschen, angreifbar und manipulierbar. Für Schulen, die sich u.a. als Schutzraum für Heranwachsende verstehen, sollte Open-Source-Software (besser: Freie Software) der Mindeststandard sein.
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8 Digitalcourage e.V. (2020): Freie Software für Schulen: https://digitalcourage.de/blog/2020/freie-software-fuer-schulen
Datenspuren in Schulen
Ausgangslage
Die Wahl einer geeigneten digitalen Unterrichtsplattform war auch schon vor der Corona-Pandemie ein umstrittenes Thema und mitten in diese Diskussion platzten im im März 2020 die Schulschließungen. Hektisch wurden auf Städte- und Landesebenen Lizenzen für Videokonferenz-Programme wie Zoom oder Microsoft-Teams eingekauft und zur Verfügung gestellt. Zusätzlich wurden Dateiablagen bei Google Docs eingerichtet, Elterngespräche in Messenger wie WhatsApp ausgelagert oder auf umfassende digitale Unterrichtsumgebungen zurückgegriffen, wie Microsoft 365 oder Googles „G Suite for Education“ (um nur einige kritische Beispiele zu nennen)9 . Dass diese Softwarelösungen etliche Schüler.innendaten sammeln und datenschutzrechtlich bedenklich sind, ist kein Geheimnis. Zur Beruhigung hieß es, dies seien Übergangslösungen und langfristig wurden geeignetere Programme in Aussicht gestellt. Doch letztere lassen auch nach 2 1/2 Jahren, und eigentlich seit zwanzig Jahren, noch immer auf sich warten – aus verschiedenen Gründen. Der Schutz von Daten wird eher stiefmütterlich behandelt, obwohl Beispiele aus der Netzpolitik seit Jahrzehnten zeigen, wieso dieser unverzichtbar ist.
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9 Digitalcourage e.V. (2020): Datenfresser an Schulen: https://digitalcourage.de/blog/2020/datenfresser-an-schulen
Die Rolle der Schülerinnen und Schüler
Datenschutzfreundlicher Unterricht wird zunehmend als Politikum behandelt, sodass der Kern des Themas in den Hintergrund gerät: Der Schutz von Kindern Ihre Daten sind als wertvolles Gut zu betrachten, das vor wirtschaftlicher Ausbeutung geschützt werden muss, so legt es auch das Gesetz fest (ErwGr. 38 DSGVO). Die Erziehungspflicht von Eltern sowie der freiheitlich-demokratische Bildungsauftrag von Schulen sollen Kinder und Jugendliche auf dem Weg zur digitalen Mündigkeit unterstützen: Das Ziel sollte selbstbestimmtes, reflektiertes und eigenverantwortliches Handeln in der zunehmend digitalisierten Welt sein – Datenschutz ist dabei ein essenzieller Aspekt: Für Schülerinnen und Schüler ist es eine Lernaufgabe, zu verstehen, welchen Wert ihre privaten Daten haben, in der Schule und in hrer digitalen Freizeitgestaltung. Sie überblicken das große Ganze (z.B. wirtschaftliche und gesellschaftliche Zusammenhänge) erst mit steigendem Alter. Eine 2018 vom Institut der deutschen Wirtschaft durchgeführte Studie zeigt: Zwei Drittel der befragten Kinder und Jugendlichen zwischen 14 und 21 Jahren weisen ein differenziertes und kritisches Bewusstsein für Datenschutz auf, doch die Ambitionen, ihre Daten tatsächlich zu schützen, sind gering: Wenn zum Schutz der eigenen Daten auf einen beliebten Online-Dienst verzichtet oder sogar Geld in eine datensparsame Alternative investiert werden soll, wird auf diesen Schutz lieber verzichtet (Sozialforscher.innen sprechen dabei vom Phänomen „Privacy Paradoxon“).10 Auch die JIM-Studie 2021 zeigt in puncto Datenschutzbewusstsein eher besorgniserregende Ergebnisse: Nur ein Drittel der Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren haben ein kritisches Bewusstsein für Aspekte rund um Datenschutz und IT-Sicherheit – die meisten fühlen sich bei der Nutzung von Social Media-Angeboten „sicher“.11 Daher ist nicht davon auszugehen, dass Schüler*innen sich um Datenschutz und IT-Sicherheit bei der Software interessieren, die sie zu schulischen Zwecken verwenden. Es ist auch nicht ihre Aufgabe das zu tun.12
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10 Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft: https://www.iwkoeln.de/studien/iw-trends/beitrag/barbara-engels-datenschutzpraeferenzen-von-jugendlichen-in-deutschland.html
11 JIM-Studie 2021, S. 41: https://www.mpfs.de/studien/jim-studie/2021/
12 Ausnahmen bestätigen die Regel und so sind beispielsweise einige Schüler*innen des Landesschülerbeirats in
Baden-Württemberg sehr aktiv, was Datenschutzfragen an Schulen betrifft: https://unsere-digitale.schule/
Die Rolle der Eltern
Die Einschätzung, ob und wenn ja, welche Daten verarbeitet werden dürfen, wird Kindern und Jugendlichen laut der Datenschutz-Grundverordnung erst ab 16 Jahren selbstbestimmt zugemessen (Art. 8 DSGVO) – vorher entscheiden i.d.R. die Erziehungsberechtigten darüber. Also obliegt es den Eltern, auf den Datenschutz ihrer Kinder zu achten. Eine schweizerische Studie im Jahr 2019 zeigte, dass ein Viertel der befragten Eltern Informationen zur Medienerziehung von der Schule ihres Kindes wünscht und somit auf die kompetente Einschätzung und Orientierungshilfe von Schulen vertraut.13 Im Umkehrschluss ist davon auszugehen, dass auch Schulsoftware von Eltern weniger streng und kritisch beäugt wird als Apps und Dienste, die Kinder in der Freizeit und somit in ihrer direkten Obhut nutzen. Doch auch medienkompetente, datenschutzsensible, aufgeklärte Eltern erklären sich mit der Datenverarbeitung oft widerwillig einverstanden und machen von dem Privileg des Widerspruchs selten Gebrauch. Sie möchten nicht als „Spielverderber“ dastehen, die digitalen Unterricht torpedieren. Sie befürchten, ihre latenten Sorgen nicht ausreichend fachlich begründen zu können oder sehen Nachteile für ihre Kinder, wenn diese von der Nutzung der Schulsoftware ausgeschlossen sind. Einige Eltern gehen bereits auf Schulen zu, verlangen Auskunft zur Verarbeitung der Daten (nach Art. 15 DSGVO), widersprechen der Nutzung von Software, reichen Beschwerden bei Landesdatenschutzbeauftragten ein und ein paar besorgte Mütter und Väter haben bereits einen juristischen Klageweg gewählt, um Schulen zum Einlenken zu bewegen. Aber auch hier: Es ist nicht primär die Aufgabe von Eltern, für geeignete Software im Unterricht zu sorgen. Aber auch hier: Welche Software in Schulen eingesetzt wird, liegt nicht in der direkten Entscheidungsgewalt der Eltern und es ist nicht primär ihre Aufgabe, für geeignete Software im Unterricht zu sorgen, doch sie können den Auswahlprozess entscheidend lenken.
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13 MIKE-Studie 2019: https://www.zhaw.ch/de/psychologie/forschung/medienpsychologie/mediennutzung/mike/#c145075
Die Rolle der Schule (Leitung)
Die Schulleitung trägt die Verantwortung für die Datenverarbeitung (§§ 120 bis 122 Schulgesetz und Art. 28 der DSGVO). Sie steht dabei in einem ständigen Spannungsfeld zwischen den Vorgaben von Ministerien und Schulträgern, den administrativen Möglichkeiten vor Ort, individuellen Finanzierungsfragen und den Bedürfnissen von Schüler.innen, Lehrkräften und Eltern. Bei der Wahl der Schulsoftware werden datenschutzrechtliche Bedenken häufig verdrängt, um den digitalen Unterricht überhaupt zu gewährleisten. Nicht aus Böswilligkeit oder weil beides zusammen nicht möglich wäre, sondern weil sie keine andere oder bessere Möglichkeit sehen. Akteure in der Wirtschaft machen sich die Digitalisierungen im Bildungssystem zu Nutze und bieten schnelle, einfache, kostengünstige Lösungen an: Die Angebote von datensammelnden IT-Großkonzernen stehen ohne langen Vorlauf zur Verfügung, halten hohe Auslastungen aus und beinhalten technischen Rund-um-Support – genau das, was Schulen zur Entlastung brauchen. Insbesondere ist Vorsicht geboten, wenn Daten verarbeitet werden, die über notwendige Stammdaten hinausgehen, wenn externe IT-Dienstleister eingebunden werden, Daten an Dritte weitergegeben oder Programme eingesetzt werden, deren Datenverarbeitung sich der Steuerung durch die Schule entzieht – vor allem bei Cloudlösungen, Angeboten aus Ländern außerhalb der EU, sowie proprietären (nicht-quelloffenen) Programmen. Die Wünsche und Anforderungen der verschiedenen Akteure im Bildungssystem lassen sich nicht immer vereinen und die Wahl der Software kann auch nach hinten losgehen, wenn Schüler*innen und Eltern damit nicht einverstanden sind. Grundsätzlich muss die Schule alternative Möglichkeiten zur Partizipation am Unterricht schaffen, wenn Schüler.innen oder Eltern der Nutzung eines Programms widersprechen. Den Betroffenen dürfen keine Nachteile entstehen, sodass die Zustimmung zur Datenverarbeitung unter keinen Umständen ihre Freiwilligkeit verliert (ErwGr. 43 DSGVO) – in der Praxis ist das jedoch nur selten der Fall: Alternativen fehlen und die Freiwilligkeit zur Nutzung von Schulsoftware ist sehr stark begrenzt. Gleichzeitig ist der Druck, eine Lösung für digitales Lernen zu finden, so groß, dass das Recht auf Bildung und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gegeneinander abgewogen werden. Und zu oft wird dabei vergessen, dass Grundrechte nicht verhandelbar sind.
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Die Rolle der Politik
Auf Ebene der Länder, Städte und Kommunen werden permanent Lösungen für Schulen vorgeschlagen und entsprechende Mittel bereitgestellt. Einige haben sich bereits auf den Weg mit datenschutzfreundlicher, freier Software gemacht, aber an vielen Stellen besteht Nachholbedarf. So kommt es immer wieder zu Fällen, in denen einzelne Schulen die Nutzung von datenschutzfreundlichen Programmen wünschen, städtische Mittel jedoch für Lizenzen, z.B. von Microsoft, ausgegeben werden, um zugleich auf eine gut ausgebaute Support-Struktur zurückgreifen zu können. Wer in solchen Fällen keinen zahlungskräftigen und eigenmächtig handelnden Schulförderverein hinter sich hat, befindet sich in einer Sackgasse. Ministerien investieren in den Ausbau datensammelnder Software, wie z.B. in Baden-Württemberg, wo 2020 Microsoft 365 in Pilotprojekt-Schulen eingeführt wurde.14 Letzlich ist die Umsetzung der digitalen Bildungsplattform mit Microsoft-Software von der Landesdatenschutzbehörde gestoppt worden, doch wer das Software-Paket bereits verwendet hat, musste sich nach den Sommerferien 2021 wieder einmal neu aufstellen 15 – und die Diskussionen darüber, was nun erlaubt ist, wer die IT-Infrastruktur bezahlen soll und wer in der Verantwortung steht, sich darum zu kümmern, werden sicherlich kein zeitnahes Ende finden. Da der Schutz von Schüler.innen-Daten bei der Verwendung von „intransparenter Software“ immer wieder angezweifelt wird, muss die Politik den Ausbau von Open-Source-Projekten in der EU besser fördern – mit finanziellen Mitteln und attraktiven Anreizen für Schulen (z.B. gute Support-Struktur und Weiterbildungen für Lehrkräfte). So lange Schulen die „Katze im Sack“ kaufen müssen und ihre Verantwortung für die Datenverarbeitung von einem schlechten Gefühl begleitet wird, kann Datenschutz nicht seine negative Konnotation des notwendigen Übels verlieren. Den Mehrwert von Datenschutz zu vermitteln, muss ebenfalls seitens politischer Programme verstärkt werden.
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14 Laudatio bei den BigBrotherAwards 2020: https://bigbrotherawards.de/2020/digitalisierung-bildungsministerin-baden-wuerttemberg-susanne-eisenmann
15 Warnung des LfDI: https://bnn.de/nachrichten/baden-wuerttemberg/warnung-datenschutzbeauftragter-microsoft-office-365-schulen-baden-wuerttemberg
Welche Möglichkeiten gibt es bereits? (Kurzübersicht)
Digitale Unterrichtsumgebung
Moodle ist ein Lernmanagement-System, das kommerziellen Plattformen kaum nachsteht. Unterrichtsmaterialien, Hausaufgaben, Tests und Lernfortschritte sowie kollaboratives Arbeiten von Lerngruppen kann dort digital umgesetzt werden. In Moodle lässt sich z.B. auch die Videokonferenz-Software „BigBlueButton“ integrieren. Eine Dateiablage ist zwar in Moodle bereits enthalten, doch mit „Nextcloud“ stehen zusätzlich noch ein Terminkalender und ein Kanban zur Verfügung. Eine Art digitales Klassenbuch (Noten, Fehlzeiten, Stundenpläne, usw.) bietet z.B. „GradeMan“ (für diese besonders sensiblen Daten sollten allerdings analoge Lösungen immer bevorzugt werden – Faustregel: „digital“ ist nicht immer zwangsläufig „besser“).
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Digitale Werkzeuge
Für das Erstellen von Texten, Tabellen und Präsentationen eignen sich „Libre Office“ oder „Collabora“. Wer gemeinsam schreiben möchte, kann „Etherpads“ oder „Cryptpads“ dafür nutzen. Letztere bieten auch eine übersichtliche Ordnerstruktur zum Ablegen der Dokumente. Für sämtliche weitere digitalen Tätigkeiten, die im Unterricht relevant werden, gibt es ebenfalls freie Lösungen. So können z.B. Bilder mit „GIMP“ bearbeitet werden, Musik mit „Audacity“ und Videos mit „OpenShot“. Das Lernen an sich kann von Programmen wie „Anki“ (Karteikarten) oder „Freemind“ (Mindmaps) unterstützt werden. Software für den fächerspezifischen Unterricht, vom Vokabeln-Lernen bis zum Noten-Schreiben ist sehr vielfältig verfügbar.
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Netzwerk Freie Schulsoftware
Wer Freie Software an Schulen einsetzt, tut etwas für den Schutz von Daten und Grundrechten der Schüler.innen und Lehrkräfte. Über den Zusammenhang möchte der gemeinnützige Verein Digitalcourage aufklären und den Einsatz dieser Software an Schulen fördern. Im „Netzwerk Freie Schulsoftware“ werden Expertinnen und Experten zusammengebracht und Gleichgesinnte, sowie Hilfesuchende vernetzt. Die Personen, die ihre Expertise zur Verfügung stellen, kennen sich größtenteils im System Schule aus, sie haben bereits rechtliche und technische Hürden genommen, um den Einsatz der Software möglich zu machen. Sie können benennen, welches Programm für den Unterricht geeignet ist und wo Fallstricke zu beachten sind. Gleichzeitig können Schulen, die sich bereits auf den Weg gemacht haben und keine Hilfe in dem Netzwerk finden, auch Hilfsbedarf anmelden. Die über 1.000 Hilfsangebote sprechen für sich: Es ist möglich Freie Software an Schulen durchzusetzen und die Hilfsbereitschaft, anderen zu helfen (unbürokratisch und kostenfrei) ist enorm. So ist an dieser Stelle eine Liste von über 150 freien Programmen, samt Kontaktdaten der Helfenden, für den Einsatz im Unterricht entstanden.
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Was ist nun zu tun?
Der wichtigste erste Schritt muss sein, die vorhandenen Angebote bekannt zu machen. Lehrkräfte die Möglichkeiten (digitalen) Unterrichts aufzuzeigen und Schulleitungen von der Notwendigkeit zum Datenschützen zu überzeugen. Die Stimme der Schüler*innen, Lehrkräfte und Eltern ist essentiell, um Veränderungen anzustoßen. Schulleitungen und Schulträger können sich vor ihrer Verantwortung nicht drücken und wiederum nicht den Vorgaben der Länder entziehen. Selbstverständlich ist der Blick auf die Bedürfnisse ihrer eigenen Schule (inkl. schneller Lösungen) ihr Hauptaugenmerk, aber sie müssen auch die Zukunft des Bildungssystems im Auge behalten und notfalls gegensteuern, wenn fragwürdige Entscheidungen in politischen Reihen getroffen werden. Insgesamt gibt es im Bereich datenschutzfreundlicher, digitaler Bildung noch viele Baustellen, für die jede*r einzelne einen langen Atmen, Geduld und eine Portion Mut benötigt. Vor allem Datenschützer*innen in der Der Digital- und Bildungspolitik müssen an dieser Thematik dran bleiben und zukunftsgerichtet die richtigen Weichen stellen.
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